Nibelungenmuseum Worms - | ||
aus der Sicht der Museumsmacher | ||
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Unter dem Schatz der Nibelungen
An dritter und letzter Stelle des Museumsrundganges befindet sich die Installation des virtuellen Schatzes der Nibelungen. Sie ist als kreisförmige, in Echtzeit berechnete Bildprojektion in einem unterirdischen Raum mit neun Metern Durchmesser präsentiert. Der Besucher sieht über sich die Stadt Worms mit ihren Gebäuden und Denkmälern, als wäre die Erdoberfläche durchsichtig geworden.
Szenario
Unter der Stadt entwickelt sich die imaginäre Welt des Mythos. Es entstehen laufend Bilder, Töne und Musik, die diesen Mythos verkörpern. Im tiefsten Innern des Raumes befindet sich der "Weltengrund", dargestellt durch Bilder und Klänge, die an die ununterbrochene Aktivität des Netzes erinnern. Dieser Hintergrund bildet die Grenze zum Unterbewussten und symbolisiert die "Zeitmauer", von der sich die Welt mit ihrer zunehmenden Beschleunigung immer mehr abkoppelt.
Von der Oberfläche des Weltengrundes lösen sich einzelne Bildfragmente und formen sich bei ihrem Emporsteigen zu Bildern aus bekannten Darstellungen der Legende in Fotografie, Malerei, Filmen und Opern. Die drei Hauptelemente des Schatzes (der Ring, das Zepter und das Schwert) bewegen sich durch diesen Raum mit einer jeweils eigenen Logik und ziehen die Bilder der Legende an oder stoßen sie ab. Der Schatzraum stellt eine Art virtuelles Schiff dar, der die Besucher auf ihre Entdeckungsreise mitnimmt. Und somit ist dies auch einer der im Lied beschriebenen Symbole, die unsichtbar machende "Tarnkappe".
Der Besucher kann sich in der Welt des Schatzes frei und intuitiv bewegen, es ist, als würde er schwimmen. Das geschieht mithilfe einer 3D Maus, die er nach vorne, hinten, rechts, links, oben und unten schieben kann. Geschwindigkeit und Bewegungsrichtung sind frei; aber ein digitaler Drachen, zusammengesetzt aus den Darstellungen aller Drachen der Welt, bewacht die Türen des Raumes und bringt denjenigen, der sich vielleicht etwas zu weit hinaus wagen würde, wieder zurück unter das Wormser Museum
Der virtuelle Raum
Sämtliche visuelle Formen - der Raum, die sich bewegenden Elemente - bestehen aus Oberflächenstrukturen, Transparenz, Farbe und deren unendlichen Variationen. Diese immer neu entstehenden Raumsituationen, denen der Betrachter ausgesetzt ist, entstehen in realer und vollkommen flüssiger Zeit. Die Musikobjekte selbst reagieren mit diesen visuellen Objekten. Das VR-Programm AAASeed und die Welt, die damit entstanden ist, wurde von Emmanuel Mâa Berriet entwickelt. Die Bilder und Strukturen, aus denen sich der "Weltengrund" zusammensetzt, gehen auf die Idee des "Générateur Poïétique" zurück - ein interaktives, kollektives Dispositiv in Echtzeit im Internet, entwickelt von Olivier Auber in Zusammenarbeit mit der Ecole Nationale Supérieure des Télécommunications und vielen anderen. Der "Générateur Poïétique" ist noch nicht physisch mit der Installation gekoppelt, wird es aber bald sein. (siehe http://www.enst.fr/~auber).
Die Musik
Der gesamte Raum generiert ein Klang- und Musikstück, das von Thierry Fournier für 4 Solisten Stimmen und Elektronik in Echtzeit geschrieben wurde. Dieses Stück ist verzweigt und interaktiv, ohne Anfang und Ende. Bei der Bewegung des Betrachters im Raum entsteht an jedem Objekt und an jeder Stelle jeweils ein Teil des Stückes. Diese Teile bauen sich zusammen, verändern und bewegen sich ununterbrochen je nach Standort des Betrachters und seinen Eingriffen in das Dispositiv.
Der Quartett, in mittelhochdeutsch und modernem deutsch gesungen, bildet den zentralen Punkt der Museumskomposition. Der Text ist ein Auszug aus dem Lied. Es geht dabei immer um den Blick: des Autors auf die Figuren aus dem Lied, oder der Personen auf sich selbst (Traum Kriemhilds, ihre Ansprache an Siegfried, ) Man kennt diesen Gesang bereits vom Museum, und im Schatz wird er zur zentralen, dominanten Kompositionsform. Er begleitet die Entwicklung des Blickwinkels des Betrachters, von der geschichtlichen und kollektiven Perspektive im Museum bis hin zur individuellen Situation innerhalb der Installation.
Die Wahl der Stimmen (Mezzosopran, Alt, Tenor und Bass) entspricht einem permanenten Wechsel der Tonlagen, die verschiedenen Stimmen verkörpern Passagen und Orte im Raum. Diese Gesangsfragmente werden unterschiedlich präsentiert: man kann jede Stimme einzeln hören, in Gruppen vereinigt oder zu anderen Materialien zugehörig. Beim Grobteil des 4-stimmigen Gesangs wurde jede Stimme einzeln aufgenommen, und die Harmonien und zeitliche Abfolge werden durch die Bewegungen des Betrachters neu komponiert.
Die Klänge (Stadt, Wälder, Gewitter, Fluss, Weltengrund, usw.) werden auch in Echtzeit generiert und verräumlicht. Sie bestehen aus vielen verschiedenen Schichten und Komponenten, die sich mit dem Näherkommen des Betrachters entwickeln. Jedes Bildfragment, das aus dem Weltengrund emporsteigt, entspricht einem Klangfragment, einige davon beinhalten Zitate aus dem Lied.
Jeder Betrachter schafft also in diesem Raum seine eigene Fassung des Musikstücks: er beeinflusst Inhalt, Form, Komposition und Mischung. Eine andere Vorgehensweise an der gleichen Stelle kann einen radikalen Wechsel der Form und andere Teile aus dem 4-stimmigen Gesang generieren. Jede Bewegung, auf die das Dispositiv reagiert, bewirkt eine Variation der Klangfarbe.
Echtzeit und Hörzeit
Die Illusion von Geschwindigkeit und Echtzeit ist hier permanent mit der Zeit des Textes, der Stimme und der Musik konfrontiert. Das Dispositiv bewirkt eine dauernde Spannung zwischen der totalen Bewegungsfreiheit im Raum, und die sehr exakte Lokalisierung der Stimmen zwischen der Möglichkeit von Geschwindigkeit und der zum Zuhören benötigten Zeit. Da sich die Symbole in dauernder Bewegung befinden, kann ihr Zusammentreffen bewirken, dass sich - manchmal auf brutale Weise - die Elemente aus dem Klangraum der Fragmente, der Stadt und dem Weltengrund dazu mischen. Jeder Betrachter ist hier mit seiner eigenen Vorstellung von Zeit, Erinnerung und Zuhören konfrontiert. |
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Kontakt : adelaide@km2.net